Warum heißt der Norden Belgiens Flandern und nicht Brabant? Neben der Grafschaft Flandern spielte doch auch das Großherzogtum Brabant in der Geschichte eine wichtige Rolle? Und warum spricht man in Flandern offiziell Niederländisch und nicht Flämisch? Im Rahmen der VRT-Sendereihe „Die Geschichte Flanderns“ sollen diese Fragen beantwortet werden.
Der Historiker Bruno De Wever von der Genter Universität (UGent) sagt zu dieser Fragestellung sowohl einfach als auch konkret: „Die wichtigste Lektion, die man aus der Geschichte lernen kann, ist die, dass sie immer auch anders hätte verlaufen können.“ Ein Beitrag der Sendereihe „Die Geschichte Flanderns“ beschäftigt sich mit der Entstehung der Grafschaft Flandern, das heute in etwa mit dem Gebiet übereinstimmt, das die Provinzen Ostflandern, Westflandern, Zeeuws Flandern in den Niederlanden und Französisch-Flandern in Nordfrankreich umfasst.
Am Anfang standen Boudewijn mit dem Eisernen Arm, der erste Graf von Flandern, und dessen Geliebte Judith, einer Prinzessin aus Franzien (lateinisch Francia). Diese westfränkisch-französische Region unterscheidet sich mit der Bezeichnung Franzien von der Geographisch entsprach „Franzien“ in etwa dem Raum des heutigen Frankreichs im Norden der Loire.
Das Paar herrschte über ein kleines Gebiet in einer „Ecke“ des Westfranzösischen Reichs, damals auch „Pagus Flandriensis“ genannt. Dieses Gebiet liegt quasi an der Basis dessen, was Flandern heute darstellt. Historiker De Wever erinnert in diesem Zusammenhang aber daran, dass allerdings einige wichtige Teile des heutigen Flanderns seinerzeit noch nicht dazu gehörten: „Dazu gehören das Herzogtum Brabant und das Gebiet, das wir heute Limburg nennen.“
Die Schlacht der Goldenen Sporen?
Oft wird in Zusammenhang mit der Entstehung Flanderns die „Schlacht der Goldenen Sporen“ genannt, ein Ereignis, dass beinahe mythische Proportionen in der Geschichtsschreibung Flanderns einnimmt. In Flandern konnte man sich mit der Vorherrschaft der Franzosen nicht so recht abfinden. Sowohl die ehemaligen Herrscher, als auch die Bauern auf dem Lande und die Bürgerlichen in den Städten lehnen sich gegen die französischen Besatzer auf.
Am 11. Juli 1302 kommt es in der Gegend von Kortrijk (im heutigen Westflandern) zu einer Schlacht, bei der ein Heer von Bauern und Bürgern unter der Führung von Jan Breydel und Pieter de Koninck eine französische Reiterarmee in die Flucht schlägt - gnadenlos und ohne Gefangene zu machen.
Später geht diese Schlacht als die „Schlacht der Goldenen Sporen“ in die Geschichte ein, denn die siegreichen Flamen sammelten auf dem Schlachtfeld die Sporen der Reiterstiefel der besiegten Feinde ein und brachten sie nach Kortrijk. 700 dieser Sporen wurden in einer Kirche als Trophäen aufbewahrt. Später allerdings holten sich die Franzosen diese Trophäen wieder zurück, als sie in einer weiteren Schlacht die Flamen dann doch besiegen konnten.
Die Schlacht bei Worringen?
Diese Schlacht unweit von Köln bildete im 19. Jahrhundert die Basis sowohl für die belgische, als auch für die flämische Nationsbildung. Nach der Unabhängigkeit Belgiens im Jahr 1830 war auch sie ein für die flämische Identität wichtiges Ereignis geworden.
Die Schlacht von Worringen war 1288 das kriegerische Finale im zuvor bereits sechs Jahre währenden Limburger Erbfolgestreit. Hauptkontrahenten in diesem Konflikt waren Siegfried von Westerburg, Erzbischof von Köln, und Herzog Johann I. von Brabant. Der Ausgang der Schlacht veränderte eigentlich das Machtgefüge im gesamten Nordwesten Mitteleuropas.
„Hätte die flämische Nationsbildung nicht schon im 19. Jahrhundert stattgefunden, sondern erst nach dem Ersten Weltkrieg, dann wäre der flämische Feiertag heute der 5. Juni mit der Schlacht von Worringen 1288 als Inspirationsquelle“, so Bruno De Wever dazu gegenüber VRT NWS.
Diese Schlacht brachte das Herzogtum Brabant zum ersten Mal als eine der tonangebenden Reiche in den Vordergrund und dies vor allem auf kosten des Einflusses der deutschen Fürstentümer im Limburgischen. „Der Grund für Flandern als Benennung hat damit zu tun, dass Frankreich bei der Entstehung von Belgien als die große Macht angesehen wurde und nicht Deutschland,“ glaubt Bruno De Wever in diesem Zusammenhang. Napoleons Eroberungskriege waren noch gut in Erinnerung, als sich die deutschen Fürstentümer 1871 im Deutschen Reich vereinigten, so der Historiker.
Von Frankreich distanziert
Das Buch „Der Löwe von Flandern“ über die Schlacht der Goldenen Sporen, das Hendrik Conscience 1838 geschrieben hat, war zu diesem Zeitpunkt ein sehr guter Anlass für die jungen Belgier, sich von Frankreich zu distanzieren. Conscience wurde übrigens auch als die Person gerühmt, „die dem Volk das Lesen beigebracht hat.“
So seltsam es sich auch anhört, doch diese Schlacht und dieses Buch machten sich sowohl die Flamen, als auch die frankophonen Belgier zu eigen. Und bis heute beruft sich auch die belgische Monarchie darauf, denn die Titel „Herzog von Brabant“ und „Graf von Flandern“ werden immer noch dem ersten bzw. dem zweiten Sohn des Königs bei Geburt verliehen.
Begrifflichkeiten
Der Begriff „Flandern“ ist laut Bruno De Wever viel älter als der Begriff „Brabant“: „Das Territorium ‚Flandris‘ wurde zum ersten Mal im 8. Jahrhundert erwählt und erlebte im Zeitraum 12. bis 14. Jahrhundert eine erste Blüte. Das aufstrebende Brabant erlebte seine Blüte erst im 15. und 16. Jahrhundert.“
Im Laufe der Jahrhunderte wurde „Flandern“ innerhalb internationaler Kreise die im Allgemeinen am häufigsten genutzte Bezeichnung des Territoriums, dass mit den Südlichen und den Nördlichen Niederlanden übereinstimmte, „doch dies fand nicht ohne Widerstand im eigenen Land statt.“
Niederländisch und kein Flämisch
Im Zuge der nationalen Findung des jungen Königreichs Belgien gab es Einrichtungen, die den Sprachgebrauch im Land regeln sollten. „1938 wurde der Niederländische Kulturrat eingerichtet, der Empfehlungen für die kulturelle Entwicklung der Nation entwickeln sollte. Und doch“, so der Historiker Bruno De Wever, „sagte man nicht ‚Flämischer Kulturrat‘, denn der Begriff ‚Flämisch‘ wurde von den Vorfechtern einer belgischen Identität gezielt vermieden.“ Dies hatte wohl damit zu tun, dass man fürchtete, Flandern würde einen eigenen Prozess der nationalen Findung in Gang bringen, was für Belgien „gefährlich sein konnte.“
Auch deshalb spricht man in Flandern auch Niederländisch und kein Flämisch. Dies ist zwar auch eine Folge der Fragmentierung innerhalb des gesprochenen „Flämisch“ oder „Niederländisch“. Für die Südlichen Niederlande gab es keine Standartsprache, sondern viele regional sehr unterschiedliche Dialekte (die auch heute noch gesprochen werden bzw. deren Akzente die jeweilige Form des Niederländischen beeinflussen).
Niederländisch in Belgien schützen?
Die Flamen wollten stets das Niederländisch gegen das in Belgien dominante Französisch schützen, doch sie konnten sich nicht darauf einigen, wie das vor sich gehen sollte. Es gab z.B. eine Gruppe, die „Partikularisten“, die eine eigene flämisch-niederländische Sprachform ins Leben rufen wollten, auch, um sich gegen die niederländische Vorherrschaft aus der Vergangenheit abzuheben.
Es gab aber auch „Integrationisten“, die ihr „südliches Niederländisch auf die niederländische Sprache aus dem Norden abstimmen wollten. Bruno De Wever dazu: „Nach einem Rechtschreibkrieg wurde sich letztendlich für das allgemeine Niederländisch entschieden.“ Die „Integrationisten“ hatten also gewonnen und so gilt diese Form des Niederländischen bis heute als Standartsprache, auch wenn man in der Betonung einen deutlichen Unterschied in der Aussprache zwischen dem Niederländisch, wie es in den Niederlanden oder in Flandern gesprochen wird, hören kann.
© vrtNWS flanderninfo.be - Andreas Kockartz
Comments