In der Kaserne Dossin in Mechelen wurde jetzt eine Ausstellung eröffnet, die von der wenig bekannten Verfolgung von Schwulen und Lesben während des Zweiten Weltkriegs handelt. Auch heute ist eine solche Ausstellung aktuell, sagt der Leiter der Gedenkstätte für den Holocaust, Tomas Baum: "Man braucht nur nach Russland zu schauen, wo die LGBTQIA+-Gemeinschaft heute aktiver und härter verfolgt wird denn je."
Erst in den letzten Jahrzehnten wurden wichtige historische Studien veröffentlicht, die mehr Aufschluss über die Unterdrückung von Schwulen und Lesben während des Zweiten Weltkriegs geben.
"Vor allem in Belgien ist die Geschichte dieser Unterdrückung und Verfolgung immer noch relativ unbekannt", erklärt Tomas Baum, Leiter der Kaserne Dossin, der Gedenkstätte für den Holocaust und für Menschenrechte, gegenüber dem Sender Radio 1: "Ich hatte die Ausstellung im Mémorial de la Shoah in Paris gesehen und war sehr beeindruckt. Für viele Menschen beschränkt sich der Holocaust auf Hitler, die Verfolgung der jüdischen Bevölkerung und die Gaskammern. Wenn die Leute das schon wissen, wissen sie schon etwas, aber der Holocaust war vielschichtiger."
Auf der Pariser Ausstellung wurden die Rassentheorien der Nazis gegenüber Homosexuellen erklärt: "Diese Geschichte herauszuarbeiten ist dann sehr wertvoll, vor allem, wenn es sich um eine Opfergruppe handelt, die darin lange Zeit missverstanden wurde", betont Baum.
Die Kaserne Dossin hat die französische Ausstellung um eine belgische Sektion erweitert. "Das war gar nicht so einfach", gibt Baum zu: "Die Historiker haben herausgefunden, dass es kaum Material gibt, weil um das Schicksal der homosexuellen Bevölkerung kaum Aufhebens gemacht wurde.
Wie war das in Belgien, damals?
Die Situation war auch in jedem europäischen Land anders. In Deutschland hatten die Nazi-Behörden fast 100.000 Homosexuelle registriert, von denen 50.000 verurteilt wurden. Zwischen 5.000 und 15.000 Homosexuelle landeten in Konzentrationslagern, wo die meisten von ihnen starben. "In Frankreich war die Verfolgung weniger drastisch, außer im besetzten Elsass-Lothringen, das dem deutschen Rechtssystem unterlag", erklärt Baum.
"In Belgien übten die Behörden Nachsicht. Damit meine ich nicht, dass die Homosexuellen hier ohne Risiko leben konnte. Belgien war unter deutscher Militärverwaltung, aber die deutsche Gesetzgebung wurde hier nicht eins zu eins umgesetzt."
"Emanzipation auf sehr langfristiger Basis"
"Die Geschichte ist wichtig, weil die gesellschaftliche Emanzipation (das Streben nach einem vollwärtigen Platz in der Gesellschaft aus einer benachteiligten Position heraus, Anm. D. Red.) sich auf sehr langfristiger Basis entwickelt. Zu Beginn galt Homosexualität als eine "Sünde gegen Gott". Dann war es “eine Krankheit". Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts sprach man bereits von “einer anderen Form des Seins". Aus dieser vielversprechenden Perspektive gab es keinen Grund, Homosexualität zu bestrafen. Die Emanzipationsbewegung hat damals gut funktioniert."
"Mitte der 1930er Jahre wurde die Parteilinie strenger", weiß Tomas Baum weiter. Männern, die Sex mit Männern hatten, drohten bis zu zehn Jahre Gefängnis mit der Möglichkeit, in ein Konzentrationslager verwiesen zu werden (eine Verschärfung des 1871 eingeführten Paragraphen 175 im deutschen Strafgesetzbuch). Diese Ablehnung vollzog sich vor allem in Deutschland und sie betraf vor allem Männer.
"Homosexuelle wurden jedoch nicht in jedem Lager gleich behandelt. In Auschwitz waren sie in einer separaten Baracke untergebracht, in anderen Lagern gab es eine stärkere Vermischung, in wieder anderen Lagern mussten sie ein rosa Dreieck tragen. Es gab keine allgemein gültigen Vorschriften.”
Auch homosexuelle Lagerinsassen mussten unmenschliche Bedingungen erdulden. Ihnen wurden oft die schwierigsten Aufgaben übertragen. Einige wurden kastriert, andere wurden medizinischen Experimenten unterzogen. Wer als geheilt galt, wurde entlassen und eingezogen.
Lesben entkamen in der Regel der Repression, sofern sie sich nicht wehrten. Aber auch sie wurden manchmal verhaftet und deportiert, zum Beispiel weil sie "Kommunisten" waren.
"Es ist wichtig, darüber zu sprechen und nachzudenken"
Der so genannte Paragraph 175 blieb nach dem Zweiten Weltkrieg in Kraft und wurde erst 1994 endgültig abgeschafft. Infolgedessen wurden die nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs deportierten Homosexuellen nicht als Opfer des Nationalsozialismus anerkannt.
Erst ab den 1970er Jahren gab es offizielle Zeugenaussagen. 2002 stimmte der deutsche Bundestag für die Rehabilitierung zahlreicher Männer (von denen viele inzwischen verstorben waren), die unter dem NS-Regime nach Paragraph 175 verurteilt worden waren.
Eine Ausstellung wie diese ist daher auch heute noch aktuell. "Wir wollen zeigen, dass es sich lohnt, darüber zu sprechen und nachzudenken. Denn wenn man sich heute zum Beispiel Russland anschaut, sieht man, dass auch dort die LGBTQI+-Community aktiv und verstärkt verfolgt wird. Zu Propagandazwecken wurde die Gesetzgebung verschärft und sieht härtere Strafen vor"
Die Ausstellung "Schwule und Lesben im nationalsozialistischen Europa" läuft vom 16. Februar bis zum 10. Dezember 2023 in der Kaserne Dossin in Mechelen. Mehr Info.
© vrtNWS flanderninfo.be Martina Luxen, Belga
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